WCAG 2.2
[Materialsammlung]
Die WCAG sind in der Version 2.2 seit Oktober 2023 der gültige Standard für digitale Barrierefreiheit. Es wurden darin 9 Erfolgskriterien hinzugefügt und das Erfolgskriterium 4.1.1 entfernt.
Die Umsetzung dieses Standards in der Europäischen Union und deren Mitgliedsstaaten in der Norm EN 301 549 ist mittelfristig erwartbar, weshalb neue Projekte und Relaunches schon jetzt den neuen Standard berücksichtigen sollten.
Einordnung in den WCAG
Entwicklungsgeschichte
Es scheint, dass die Web Accessibility Initiative (WAI) des W3C Anforderungen nicht mehr im Zehn-Jahres-Intervallen neu aufstellen, sondern in kürzeren Abständen kleine Ergänzungen vornehmen.
Am 27.02.2020 wurde der erste Arbeitsentwurf (Working Draft) veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt waren die WCAG 2.1 noch keine zwei Jahre der gültige Standard. Nach mehreren Ankündigungen und Verschiebungen wurde die WCAG in der Version 2.2 am 05.10.2023 als neuer Standard veröffentlicht.
Redaktionelle Maßnahmen
Die Version 2.2 erweitert den bisherigen Standard. Sowohl das Grundgerüst mit vier Prinzipien, Richtlinien und Erfolgskriterien, als auch die Anforderungen aus den früheren Versionen 2.0 und 2.1 bleiben aufrecht. Auch die gestuften Anforderungen an die Konformität werden aus der WCAG 2.0 übernommen.
Die Anordnung einzelner Erfolgskriterien innerhalb einer Richtlinie entspricht nicht mehr der Gewichtung nach Konformitätsstufen. Neue Erfolgskriterien werden einfach hinten angefügt. Dies erscheint zweckmäßig, um wie bisher auf frühere Versionen referenzieren zu können.
Zur Verdeutlichung von Bedürfnissen, die einem Erfolgskriterium zugrunde liegen, wurden Personas eingeführt.
Neue Erfolgskriterien
- 2.4.11 Fokus nicht überdeckt (Minimum)
- Wenn ein Element den Tastaturfokus erhält, muss es zumindest teilweise sichtbar sein.
- 2.4.12 Fokus nicht überdeckt (Erhöht)
- Konformitätsstufe AAA
- Wenn ein Element den Tastaturfokus erhält, muss es gänzlich sichtbar sein.
- 2.4.13 Fokus Erscheinungsbild
- Konformitätsstufe AAA
- Ein Fokusindikator muss ausreichend Größe und Kontrast aufweisen.
- 2.5.7 Ziehende Bewegungen
- Für Aktionen, die ein Ziehen mit der Maus erfordern, muss alternativ ein Zeiger vorgesehen werden.
- 2.5.8 Zielgröße (Minimum)
- Steuerelemente benötigen eine Mindestgröße oder einen Mindestabstand zum nächsten Steuerelement.
- 3.2.6 Konsistente Hilfe
- Hilfsangebote sich innerhalb eines Webauftritts technisch an derselben Stelle befinden.
- 3.3.7 Gleichlautende Angabe
- Dieselbe Angabe darf innerhalb einer Formularsession mit wenigen Ausnahmen nicht mehrfach abgefragt werden.
- 3.3.8 Barrierefreie Authentifikation (Minimum)
- Das Einloggen oder Absenden darf nur in bestimmten Ausnahmefällen von einer Problemlösung, Gedächtnisleistung oder Übertragung abhängen.
- 3.3.9 Barrierefreie Authentifikation (Erhöht)
- Konformitätsstufe AAA
- Das Einloggen oder Absenden darf nicht vom Erkennen von Objekten, Bildern oder Medien abhängen.
Erfolgskriterium 4.1.1 ausgeschieden
Das Erfolgskriterium 4.1.1 Parsing wurde als obsolet erklärt und aus den WCAG Anforderungen gestrichen. Es verlangte im Wesentlichen eine korrekte Syntax und konnte typischerweise mit Validationstools wie dem W3C HTML Validator geprüft werden.
In den WCAG Versionen 2.0 und 2.1 wurde das Erfolgskriterium formell nicht gestrichen, sondern durch eine Anmerkung entschärft. Diese enthält eine Generalabsolution für Inhalte in HTML und XML:
„Dieses Erfolgskriterium sollte bei jeglichen HTML oder XML-Inhalten immer als eingehalten eingestuft werden.“
Hintergrund des Ausscheidens von 4.1.1
Screen Reader griffen früher teilweise direkt auf den HTML-Code zu und waren auf eine korrekte Syntax angewiesen. Mittlerweile werden in Spezifikationen, etwa für HTML und durch Mechanismen von Browsern Syntaxfehler hinreichend aufgearbeitet. Screen Reader greifen heute auf die Ausgabe durch Browser zu und können sich nach der Einschätzung der WAI auf deren Behebung von Syntaxfehlern verlassen.
Verbleibende Fehler sind nicht mehr dem Erfolgskriterium 4.1.1 zuzuordnen, sondern überwiegend 1.3.1 Info und Beziehungen oder 4.1.2 Name, Rolle, Wert.
Es bleibt zweckmäßig, Validationstools weiterhin einzusetzen, etwa um Darstellungsfehler durch nicht-geschlossene Tags maschinell aufzufinden. Allerdings ist dies aus der Perspektive der Barrierefreiheit nicht mehr erforderlich. Allgemein mangelhaftes Design stellt keine Diskriminierung dar.
Links zum Ausscheiden von 4.1.1
- 4.1.1 Syntaxanalyse (Parsing) - OBSOLET
- Das Markup für Inhalte musste der jeweiligen Spezifikation insbesondere bei der Anwendung von Tags, der Verschachtelung von Elementen und der Eindeutigkeit von Attributen entsprechen.
- W3C FAQ | How and why is success criteria 4.1.1 Parsing obsolete?
- Warum und inwiefern ist das Erfolgskriterium überholt?
- W3C | Success Criterion 4.1.1 Parsing (Obsolete and removed)
- Eine Anmerkung zum Ausscheiden des Erfolgskriteriums bleibt in den WCAG.
Definitionen
Folgende Definitionen wurden im Zusammenhang neuer Kriterien ergänzt: