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Internationale rechtliche Bestimmungen zur Barrierefreiheit
[Materialsammlung]

Europaflagge

Europäischer Accessibility Akt (EAA)

Diese EU-Richtlinie aus dem Jahr 2019 legt Standards für die Barrierefreiheit von Produkten und Dienstleistungen fest. Sie gilt also nicht nur für Behörden, sondern auch für private Unternehmen.

Ich erarbeite diese Richtlinie mit komplexen Verweisen auf der in der Überschrift verlinkten Seite.

Weltkugel

UN -Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen

Die Vereinten Nationen ( UNO) haben nach der allgemeinen Menschenrechtskonvention und Konventionen über die Rechte von Frauen und Kindern auch eine Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen erstellt. Dieses ist seit 2008 in Kraft und wurde von der EU und den meisten Staaten mittlerweile ratifiziert.

UN Konventionen stellen kein einklagbares Recht dar, sondern haben vor allem moralisches Gewicht. Die Unterzeichnerstaaten verpflichten sich damit völkerrechtlich selbst, die Ziele der Konvention zu unterstützen und umzusetzen. Gerade deswegen sind sie im politischen Diskurs von Relevanz.

Informationstechnologie in der Behindertenrechtskonvention

Der Text der Konvention ist leider alles andere als leicht verständlich. Die Inhalte im Bezug auf barrierefreies Web Design finden Sie im Folgenden Kurz zusammengefasst.

Die Vertragsstaaten verpflichten sich im Artikel 9 der Konvention zu folgenden Maßnahmen:

  1. Menschen mit Behinderungen sollen eine selbständige Teilhabe an den Informations- und Kommunikationstechnologien haben. (1.), (1.b), (2.g)
  2. Mindeststandards und Richtlinien sollen entwickelt, vorangetrieben und überwacht werden. (2.a)
  3. Auch private Rechtsträger sollen barrierefreies Web Design berücksichtigen. (2.b)
  4. Interessensvertretungen, insbesondere Betroffene selbst, sollen Fachkräfte für das barrierefreie Web Design werden. (2.c)
  5. Die Entwicklung assistierender Technologien soll unterstützt werden, sodass sie für NutzerInnen erschwinglich werden. (2.h)

Der Text der Konvention in der Übersetzung von zweiterblick.at

Artikel 9: Barrierefreiheit

(1) Um Menschen mit Behinderungen ein selbständiges Leben und die volle Teilhabe in allen Lebensbereichen zu ermöglichen, werden die Vertragsstaaten geeignete Maßnahmen mit dem Ziel treffen, für Menschen mit Behinderungen auf einer gleichen Basis mit anderen Zugang zur physischen Umwelt, Transportmitteln, Information und Kommunikationsformen, einschließlich Informations- und Kommunikationstechnologien und -systemen, sowie zu anderen Einrichtungen und Diensten, die der Öffentlichkeit in städtischen und ländlichen Raum offen stehen oder für sie bereitgestellt werden, zu gewährleisten.

Diese Maßnahmen, welche die Feststellung und Beseitigung von Hindernissen und Barrieren beinhalten, werden unter anderem in folgenden Bereichen Anwendung finden:

  • a) Gebäude, Straßen, Transportwesen und andere Innen- und Außenanlagen, inklusive Schulen, Wohnbereich, medizinische Einrichtungen und Arbeitsstätten.
  • b) Information, Kommunikation und andere Dienstleistungen, inklusive elektronischer Dienstleistungen und Notfalleinrichtungen.

2. Die Vertragsstaaten werden auch angemessene Maßnahmen treffen

  • a) um die Umsetzung von Mindeststandards und Richtlinien zur Barrierefreiheit von Einrichtungen und Dienstleistungen zu entwickeln, voranzutreiben und zu überwachen, seien sie offen oder für die Öffentlichkeit vorgesehen.
  • b) um sicherzustellen, dass private Rechtsträger, die Einrichtungen und Dienstleistungen anbieten, seien sie offen oder der Öffentlichkeit bereitgestellt, alle Aspekte der Barrierefreiheit für Menschen mit Behinderungen berücksichtigen.
  • c) um ein Training für Interessensvertreter zu Barrierefreiheitsthemen, insbesondere Menschen mit Behinderungen, vorzusehen.
  • g) um die Barrierefreiheit neuer Informations- und Kommunikationstechnologien und Systeme für Menschen mit Behinderungen voranzutreiben, inklusive dem Internet.
  • h) um das Design, die Entwicklung, die Produktion und den Vertrieb barrierefreier Informations- und Kommunikationstechnologien und –Systemen in einem frühen Stadium zu unterstützen, sodass diese Technologien und Systeme zu minimalen Kosten verfügbar werden.

Anmerkungen:

Ich habe nach der Durchsicht der offiziellen Übersetzung und der Schattenübersetzung selbst eine Übersetzung vorgenommen.

So habe ich beispielsweise independent mit selbständig übersetzt und nicht mit selbst bestimmt. Selbst bestimmt kann im Kontext von Web Accessibility auch bedeuten, dass ich am PC eine Assistenzperson habe, die mir Inhalte vorliest und auf Schalter klickt, was wohl nicht als Unabhängigkeit durchgehen kann.

Accessibility übersetze ich mit Barrierefreiheit und nicht Zugänglichkeit. Zugänglich ist auch ein Labyrinth ohne Stufen, mit tastbarem Leitsystem am Boden usw. Barrierefrei ist es trotzdem nicht, um von A nach B zu kommen.

Die Hervorhebungen wurden von mir vorgenommen.

Versionen der UN Konvention

Für die englischsprachige Grundversion gibt es eine offizielle Übersetzung. Diese wurde von Behinderteneinrichtungen etwa auf Grund von inhaltlichen Übersetzungsfehlern kritisiert. So wurde Inclusion mit Integration übersetzt oder accessibility mit Zugänglichkeit statt Barrierefreiheit. Auf der Seite des Österreichischen Sozialministeriums findet sich auch eine Version in einfacher Sprache. Wir haben nicht geprüft, inwieweit diese den Leicht-Lesen Standards entspricht.

Europaflagge

EU Richtlinie 2016/2102: Barrierefreier Zugang zu den Websites und mobilen Anwendungen öffentlicher Stellen

Bedeutung der EU Richtlinie 2016/2102

Diese Richtlinie stellt das Schlüsseldokument zu digitaler Barrierefreiheit für behördliche und behördennahe Webauftritte dar. Als EU-Richtlinie ist sie in allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umzusetzen.

Warum die Richtlinie zwischen barrierefreiem Internet und mobilen Anwendungen unterscheidet, ist mir nicht ganz klar. Es scheint lediglich, dass für Handy-Apps längere Fristen zur Implementierung der Barrierefreiheit eingeräumt werden.

Motivationen der EU-Richtlinie 2016/2102

Es geht der EU natürlich zunächst um die digitale Barrierefreiheit im Sinne der Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Die Errungenschaften des Internet sollten allen BürgerInnen beim Behördenkontakt und in der Interaktion mit Behörden zur Verfügung stehen.

Darüber hinaus gilt es jedoch auch, Standards zu vereinheitlichen und festzulegen. Dadurch wird eine verbesserte Rechtssicherheit für den Betrieb öffentlicher Webauftritte, beauftragte Dienstleistungsunternehmen und den Personenkreise, der auf digitale Barrierefreiheit angewiesen ist, gewährleistet.

Und natürlich geht es auch um den länderübergreifenden Markt. Vereinheitlichte Standards machen es leichter, über nationale Grenzen hinweg Dienstleistungen zur Verbesserung der digitalen Barrierefreiheit anzubieten und erhöhen dadurch den Wettbewerb.

Ausnahmebestimmungen

Ausnahmebestimmungen werden gleich im Artikel 1 Absatz (3) festgelegt. Zum Verständnis der Ausnahmen sind die Überlegungen und Erläuterungen vor den Artikeln von Bedeutung.

  1. Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, in Österreich der ORF und seine Landesstellen:
    Deren digitale Barrierefreiheit sollte in sektorspezifischen Bestimmungen geregelt werden.
  2. Nicht Regierungsorganisationen, , oder für was auch immer die Abkürzung NRO steht.
    Nehmen wir also an (NGOs), die nicht gerade im Behindertenbereich arbeiten oder nicht ganz so von öffentlichem Interesse sind.:
    Hallo! Warum werden Menschen mit Behinderungen von zivilgesellschaftlichen Initiativen ausgenommen, wenn sie nicht ihre Behinderung betreffen?
wf

Inhalte der EU-Richtlinie 2016/2102

Artikel 4 der Richtlinie 2016/2102 übernimmt die Terminologie der vier Prinzipien der WCAG.

CEN - Komitee für Europäische Normen

Europäische Norm (EN) DIN 301 549: Digitale Barrierefreiheit

Bedeutung der EN 301 549

Die DIN EN 301 549 wurde 2015 unter dem Titel Barrierefreiheitsanforderungen, geeignet für die öffentliche Beschaffung von IKT-Produkten und -Diensten in Europa veröffentlicht. Obwohl sie vornehmlich Kriterien zur Ausschreibung und Beschaffung von Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) dienen soll, stellt sie doch, soweit ich es sehe, in Europa die zentrale Norm für digitale Barrierefreiheit dar.

Die Norm bezieht sich überwiegend auf Richtlinien, die von der Web Accessibility Initiative (WAI) veröffentlicht wurden.

Versionen

Die Norm steht seit 2021 in der Version 3.2.1 in englischer Sprache zur Verfügung.

Accessibility requirements for ICT products and services [PDF]
Englischsprachige Version des European Telecommunications Standards Institute (ETSI)
Die Neuerungen der WCAG 2.1 wurden in dieser Version eingearbeitet.
Die PDF-Datei verfügt mittlerweile über semantische Tags.
Informationen zu früheren Versionen

W3C WAI und EN 301 549

Eine exakte Analyse der Relationen der Europäischen Norm zu WAI-Standards wäre ein interessantes Thema für eine Diplomarbeit. Folgende Fragen sollten detailliert erörtert werden:

  • Welche Dokumente der WAI wurden in die Norm implementiert? (Auch solche zum Understanding und Techniques?)
  • Welche Inhalte der Norm gehen über die WAI Standards hinaus?
  • Wozu wurden überhaupt einzelne Punkte in der Richtlinien in einen eigenen Kontext gestellt, statt auf die WAI Richtlinien als Gesamtheit zu verweisen?
  • Welche Unterschiede gibt es bei den Anforderungen für unterschiedliche Publikationsformate (Internet / Office)?

WCAG und EN 301 549

Die Anforderungen an barrierefreie Webinhalte werden im Abschnitt 9 mit der schlichten Überschrift Web behandelt. Sie beziehen sich auf Informationen und Anwendungen aus Webtechnologien ebenso wie auf verlinkte Office Dokumente.

Unter 9.2 werden die einzelnen Erfolgskriterien der WCAG 2.0 für die Konformitätsstufen A und AA aufgelistet. Die Norm selbst unterscheidet nicht mehr zwischen Konformitätsstufe A und AA. Beide erscheinen als gleich verpflichtend.

Die Norm implementiert für Webseiten Punkt für Punkt die einzelnen Erfolgskriterien. So verweist sie etwa unter 9.2.15 Tastatur direkt auf das WCAG Erfolgskriterium 2.1.1 Tastatur.

Ich bin gespannt, wie die neuen Erfolgskriterien der WCAG 2.1 in die Norm implementiert werden. Verzichtet die Norm doch gänzlich auf die Einbettung der Erfolgskriterien in die Vier Prinzipien und die Richtlinien. Dass sie eingebettet werden, dürfte jedoch nur eine Frage der Zeit sein. Alle sind also gut beraten, sich vorsorglich schon daran zu orientieren.

Nicht-Web-Dokumente in der EN 301 549

Die digitale Barrierefreiheit von Offline-Dokumenten, wie klassisch durch Office-Anwendungen (Word, Excel, Powerpoint, PDF ) erstellt werden, wird im Abschnitt 10 geregelt. Solche Dokumente werden gelegentlich per E-Mail verschickt und müssten natürlich auch als Vorlagen für Büroarbeiten barrierefrei sein.

Auch für Nicht-Web-Dokumente werden die WCAG Erfolgskriterien in der Version 2.0 abgearbeitet. Allerdings werden zusätzliche Kriterien für die Verpflichtung zur Umsetzung eingearbeitet. Warum Abschnitt 10.2 insgesamt 40 Unterpunkte aufweist und nicht 38, wie Abschnitt 9.2, dem bin ich noch nicht nachgegangen.

Inwieweit Intranet oder Dokumente in lokalen Netzwerken unter Abschnitt 9 (Web) oder 10 (Nicht-Web-Dokumente) fallen, habe ich nicht herausgefunden. Tatsache ist, dass im beruflichen Kontext Antidiskriminierungsgesetze, wie das Österreichische Behinderteneinstellungsgesetz, bestehen, die eine weitgehende Einhaltung von Standards zur Barrierefreiheit nahe legen.

(Nicht)-Barrierefreie der Norm

Die Norm kann als PDF-Datei erworben werden. Ich vermute, dass folgende Analysen zur Barrierefreiheit der PDF-Datei auch für andere Publikationen der DIN von Relevanz sind.

Testumgebung meiner Prüfung waren JAWS und Acrobat Reader in der aktuellen Version 19.10.20069.311970.

Mangelhafte Semantik in der PDF-Datei

Kurz gesagt: Die PDF Datei entspricht nicht der darin enthaltenen Norm. Sie ist nicht barrierefrei. Folgende Mängel habe ich entdeckt:

  • Das Titelblatt (Seite 1 der PDF Datei) scheint für Screen Reader überhaupt nicht wahrnehmbar. Eine rein visuelle Präsentation widerspricht gleich dem ersten WCAG Erfolgskriterium 1.1.1 Nicht-textueller Inhalt, das die Norm in den Punkten 9.2.1 und 10.2.1 einfordert.
    JAWS verfügt mittlerweile über eine Bildschirmtexterkennung, also eine OCR für Pixeldarstellungen. Dadurch werden Abbildungen von Text etwas zugänglicher. Dass die erste Seite der PDF-Datei ein Barrierefreiheitsproblem aufweist, schließe ich auch daraus, dass beim Speichern der Datei als Textdatei der Inhalt erst mit Nationales Vorwort beginnt.
  • Überschriften sind semantisch nicht als solche gekennzeichnet. Statt dessen erscheinen sie unsinnigerweise als Listen mit je einem Listenelement. Damit wird WCAG Erfolgskriterium 1.3.1 Infos und Beziehungen verletzt, worauf sich die Norm 9.2.7 und 10.2.7 beziehen.
  • Unter Punkt 10.2 werden semantisch Tabellen eingesetzt, offensichtlich um die Inhalte zu umranden. Tatsächlich sind sie aber keine Tabellen, was eine missbräuchliche Verwendung der Semantik zur visuellen Formatierung darstellt. Auch dies verletzt das Erfolgskriterium 1.3.1.
  • Immerhin habe ich Listen entdeckt, die semantisch korrekt als solche gekennzeichnet sind, etwa in der Tabelle 10.1. Auch das Inhaltsverzeichnis erscheint als Liste mit 45 Einträgen. Diese umfangreiche Liste ließe sich noch strukturieren, sei es als verschachtelte Liste oder mit hierarchisch geordneten Überschriften, die ja auch als Links fungieren können. Zugegebenermaßen ist das schon mehr eine Frage der Useability als der Barrierefreiheit.
  • Im Inhaltsverzeichnis sind die Elemente zu den entsprechenden Überschriften verlinkt. Es wäre fein, wenn Verweise innerhalb der Bestimmungen oder zu externen Webseiten, etwa der Web Accessibility Initiative (WAI) auch verlinkt würden.

Eine PDF-Datei sollte über diese menschengeführte Evaluation hinaus auch mit dem PDF Accessibility Checker (PAC) vor der Veröffentlichung geprüft werden.

Fehlende Kontaktinformationen zur DIN bei Problemen

Wie eigentlich schon befürchtet, findet sich auf der Startseite der DIN kein Accessibility Statement) . Überhaupt scheint dieses Institut kontaktscheu zu sein, denn auch die Suche nach Kontaktdaten erweist sich als erfolglos.

So habe ich erfolglos experimentell an die E-Mail Adresse office@din.de geschriben. Ich versuche über weitere Umwege eine Kontaktaufnahme und werde die weitere Entwicklung in diesem Abschnitt dokumentieren.

Rechtliche Verwendung der EN 301 549

Normen werden auf unterschiedliche Weisen in rechtliche Kontexte eingebunden. Durch Verweise in Gesetzen oder Verordnungen können sie dadurch Rechtsverbindlichkeit gewinnen.

Umso bedauerlicher ist es, dass Normen aus CEN, DIN oder ÖNORM nicht kostenlos und barrierefrei im Internet verfügbar sind, sondern auf unterschiedlichen Plattformen erst gekauft werden müssen. Ich erachte dies als finanzielle Diskriminierung, die auf europäischer Ebene gelöst werden sollte.

Auch wegen der mangelhaften Barrierefreiheit der verfügbaren Dokumente sollte ein unmittelbarer Verweis auf Normen nach Möglichkeit in Erwägung gezogen werden. Zumindest muss auf die verantwortlichen Normungsinstitute Druck zur Umsetzung der von den Kommissionen selbst erarbeiteten und publizierten Normen ausgeübt werden.